Im Blickpunkt am 19. März: Frühe Hinterglaskunst aus Venetien-Tirol
Zu den Highlights der Frühjahrsauktion gehört, neben altmeisterlichen Gemälden und Graphik, Schmuck aus der Hand des Münchner Juweliers Hanns Rothmüller oder Weinen aus Bordeaux und Burgund auch eine außergewöhnliche Privatsammlung mit Hinterglaskunst. Elf Objekte daraus gehen bis auf die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zurück und entstanden im Großraum Venetien-Tirol. Sie gewähren nicht nur einen Einblick in die frühe Geschichte der Hinterglasmalerei, sondern auch in die Art und Weise, wie sich Gemälde zu Zeiten der Renaissance verbreiteten.
Die technische Grundlage: Flaches Glas
Der Grund, warum die Hinterglaskunst gerade im Großraum Venetien-Tirol eine frühe Blüte erlebte, liegt zum einen an damals bedeutenden Zentren der Glasproduktion – auf Murano natürlich, aber auch in Innsbruck und Hall. Dort sind ab 1534 ebenfalls kunstfertige Glashütten nachgewiesen, die nicht nur das Anfertigen von Hohlglas mittels Blasrohr, sondern auch von flachen, auf einem Eisenrahmen ausgestrichenen Glastafeln beherrschten.
Wie die Hinterglaskunst nach Venetien-Tirol kam
Zum anderen führten zahlreiche Handelswege von Italien durch diese Region hinweg nach Norden. Durch sie fanden Stiche, die Experten wie Marcantonio Raimondi (1475 – 1534) von Werken der großen Renaissance-Meister anfertigten, rasch Verbreitung. Alle elf Werke, die aus dieser Epoche in der vorliegenden Sammlung enthalten sind, zeigen auf, wie genau die Hinterglaskünstler diese Stichvorlagen studierten.
Faltenwürfe und liebliche Landschaften
Die „Madonna della Palma“ nach einem Raimondi-Druck zu einem Gemälde Raphaels (Schätzpreis 1.800 Euro) zeigt nicht nur die Szene mit Maria, Elisabeth, dem Christus- und dem Johannesknaben mit sorgfältigst gearbeiteten Faltenwürfen und plastisch durchgebildeten Körpern; auch die typische Landschaft mit Städtchen im Hintergrund hat der Maler detailreich gestaltet.
Rundbögen und Zentralperspektive
Ein Bild der Heiligen Giustina (Schätzpreis 1.800 Euro) übernimmt ein typisches Architekturmotiv der Frührenaissance, den säulengetragenen Rundbogen, und wendet bei der Gestaltung des Fliesenbodens auch die Gesetze der Zentralperspektive an.
Stimmung und Texturen
Ein „Kalvarienberg“ (Schätzpreis 1.800) glänzt nicht nur durch Églomisé und strahlende Farben, sondern auch durch eine sorgfältig gearbeitete Wolkenstimmung. Und eine Kusstafel mit der „Beweinung Christi“ (Schätzpreis 1.500 Euro) lässt an Kreuzesbalken und Marmorsarkophag sogar das Bemühen um eine in der Hinterglastechnik höchst schwierig wiederzugebende Materialtextur erkennen.
Neben den insgesamt zwölf auf gestrichenem Glas gemalten Objekten aus dem 16. Jahrhundert weist die Sammlung noch über zwanzig Bilder vor allem aus dem 18. Jahrhundert auf, die in Italien und in den Hinterglas-Zentren Süddeutschlands entstanden.
Im Blickpunkt der Novemberauktion (IV): Eine Sammlung an Hinterglasbildern und ein modernes Gemälde
In die Welt des Berliner Sammlers Gerhard Stade (1907 – 1973) entführt eine Passage mit vierzig Hinterglasbildern sowie ein 1971 entstandenes Gemälde des Künstlers Matthias Koeppel (*1937) . Der als Ingenieur tätige Stade entdeckte seine Leidenschaft für Kunst, und vor allem für Hinterglaskunst während einer Reise in die Tschechoslowakei zur Zeit des deutschen Wirtschaftswunders. Rasch war sein Interesse geweckt – nicht nur an Arbeiten, die im 19. Jahrhundert in der bayerische-böhmischen Grenzregion entstanden waren, sondern auch an Hinterglasbildern aus anderen Zentren dieser Volkskunst. Vor allem in den 1950er Jahren trug Stade eine umfassende Sammlung zusammen, die die Entwicklung der Hinterglasmalerei im Süddeutschen Raum während des 18. und 19. Jahrhunderts spiegelt.
Hinterglasbilder aus Augsburg und vom Staffelsee
Die ältesten Arbeiten aus Augsburg, dem Staffelseegebiet oder Tirol stammen allesamt aus malerhandwerklicher Fertigung: Ein einzelner Maler arbeitete mit großer Sorgfalt und Detailfreude an seinem Motiv.
Gerade Hinterglasbildern aus Augsburg oder auch der direkt an den Augsburger Handelswegen gelegenen Staffelseeregion orientierten sich meist an Stichen nach altmeisterlichen Gemälden.
Wandschmuck des Biedermeier
Im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden Hinterglasbilder zunehmend als Wandschmuck in den Biedermeierlichen Bürgerstuben populär. Entsprechend setzte, vor allem in den Zentren im Bayerischen Wald, eine fast schon serielle, sogenannte hüttengewerbliche Fertigung von Hinterglasbildern ein. Verschiedene Arbeitsschritte verteilten sich auf mehrere Personen – vom Risszeichner bis zum Farbenreiber oder Rahmenmacher .
Hinterglas-Sammlung von Museums-Qualität
Der Querschnitt, den die Sammlung Stade zur Volkskunstform der süddeutschen Hinterglasmalerei bietet, ist so prägnant, dass sie über zwanzig Jahre als Leihgabe beim Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg verweilte. Dort wurde er auch von einer Volkskundlerin inventarisiert. SCHEUBLEIN Art & Auktionen freut sich, nun über vierzig Objekte aus diesem Bestand anbieten zu können.
Ein zeitgenössisches Auftragswerk
Eine ganz andere Facette der Sammlertätigkeit Stades beleuchtet das Gemälde “Glück” aus der Hand des zu dieser Zeit ungewöhnlich gegenständlichen Malers Matthias Koeppel (Schätzpreis 1.200 Euro). Für dessen politischen, gerne auch satirischen Ansatz ist das 1971 als Auftragswerk der Familie Stade entstandene Bild ein gutes Beispiel: Im Vordergrund ist eine junge nackte Frau gezeigt, die lustvoll einen Entsafter im Arm hält. Im Hintergrund sieht ein älterer Mann fern. Dieser Herr war dem TV-Publikum der damaligen Zeit kein Unbekannter: Der Journalist Werner Höfer (1913 – 1997) moderierte seit 1952 den „Internationalen Frühschoppen“, eine Journalisten-Talkrunde zu politischen Themen, die 1971 längst zu einer wahren TV-Institution geworden war.
Matthias Koeppel: Ein politischer Maler
Erst 1987, als der Spiegel Details über einen regimefreundliche Zeitungskommentare Höfers zu Hinrichtungen während der NS-Diktatur veröffentlichte, wurde der „Frühschoppen“ als Sendeformat abgesetzt. Ob Matthias Koeppel bereits zuvor Kenntnis von Höfers Vergangenheit bei einem breiten Kreis von NS-Medien hatte, ist nicht bekannt. Fakt ist allerdings, dass er sich über sein ganzes Künstlerleben hinweg politisch äußerte. So setzte er sich seit den 1970er Jahren in seinen Bildern kontinuierlich mit der Berliner Mauer auseinander und gilt als künstlerischer Chronist des Mauerfalls.
Auch was die Anerkennung der figürlichen Malerei auf dem Kunstmarkt der 1970er Jahre betraf, war er ein nimmermüder Kämpfer: Mit Johannes Grützke, Manfred Bluth und Karlheinz Ziegler gründete er 1973 die „Schule der Neuen Prächtigkeit“, die sich gegenständliche Motive in ironischer Brechung auf die Fahnen geschrieben hatte – einer Richtung, die Koeppel bis heute treu geblieben ist.
Highlights der Auktion am 18. September (I): Höchste Hinterglas-Kunst
Ein ganzes Füllhorn hochkarätiger Objekte aus Kunst und Kunsthandwerk bietet das Münchner Auktionshaus SCHEUBLEIN Art & Auktionen anlässlich seiner 50. Kunstauktion am 18. September. Das Spektrum reicht von handverlesenem Schmuck bis zu einer ganzen Passage mit Beckenschlägerschüsseln, von einer breiten Auswahl an moderner Graphik und einer reichen Auswahl an Möbeln bis zu einer Sammlung von Netsukes aus der späten Edo- und Meji-Zeit. Zu den absoluten Highlights zählt aber auch Hinterglas-Kunst von höchster Qualität.
Die Strahlkraft der Hinterglas-Kunst
Das meisterliche Stück fertigte der Seehausener Maler Josef Gege (1860 – 1919) an: Das nach einem Stich nach Rubens gemalte „Gastmahl des Herodes“ verbindet auf einzigartige Weise große Erzählfreude mit der für Hinterglasbilder typischen Strahlkraft der Farben und immenser Liebe zum Detail. Angeboten wird es zu einem Schätzpreis von 4.000 Euro.
Enorme Erzählfreude
Sorgfältig hat Gege die Regungen in den einzelnen Gesichtern angesichts von Salome mit dem Kopf Johannes des Täufers studiert und ausformuliert: vom blanken Entsetzen des Herodes über die distanzierte Beobachtungshaltung der Herodias bis zu den verschiedenen Arten des Gaffens bei Umsitzenden.
Minutiös hat er selbst Nebensächlichkeiten wiedergegeben: Den gebratenen Pfau, der hereingetragen wird. Die Obstschale. Selbst die Instrumente der puttenartigen Musikanten auf der Balustrade.
Liebe zu Details
Auch auf Materialien und Stoffe legte Gege großes Augenmerk. Das beginnt bei der enormen Plastizität des als Repoussoir an den linken Bildrand gesetzten Vorhangs, geht weiter bei der samtigen Textur des Baldachins und endet bei den Lichtreflexen im in einem Flügelglas dargereichten Wein.
Die große Tradition der Seehausener Hinterglas-Kunst
Das Ungewöhnliche liegt jedoch nicht allein in der großen Qualität dieses Bildes. Besonders ist auch die Tatsache, dass es zu einer Zeit entstand, in der die Hinterglas-Kunst am Staffelsee bereits im Niedergang begriffen war. Die Blüte, während der – basierend auf Stichen, die über die Augsburger Handelswege nach Seehausen gekommen waren – Gemälde dieses Niveaus entstanden waren, lag um 1900 bereits gut hundert Jahre zurück. Im Lauf des 19. Jahrhunderts waren Hinterglasbilder zum kostengünstigen Wandschmuck für Kleinbürgerhaushalte und zu Souvenirs für den aufkommenden Tourismus geworden. Der künstlerische Anspruch trat allmählich zurück hinter dem Bestreben, Bilder schnell und in großen Stückzahlen herzustellen.
Ein einsamer Meister seines Fachs
Josef Gege jedoch, Abkömmling einer ganzen Dynastie von Hinterglasmalern, bündelt noch einmal das ganze Wissen und die ganze Kunstfertigkeit, die seine Vorfahren an ihn weitergegeben hatten. Den ganzen Glanz eines Genres, das sich um 1900 bereits an der Schwelle zu Vergessenheit befand, lässt er in diesem Bild noch einmal lebendig werden.