Im Blickpunkt am 22. März: Keramische Skulpturen nach Modellen von Josef Wackerle und August Gaul
In die künstlerische Zeitenwende der ersten beiden Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts entführen zwei Objekte, die in unserer Frühjahrsauktion in der Rubrik “Skulpturen” angeboten werden: Ein “Großer Biber” aus Böttgersteinzeug nach Modell des Tierbildhauers August Gaul und ein Terrakotta-“Knabe mit Krug und Traube” nach Entwurf von Josef Wackerle.
Tradition und Moderne: Josef Wackerle
„Es wird nicht leicht wieder moderne Werke geben, die so sehr auf dem Boden der Tradition stehen (…) Und doch, wer wollte diese Schöpfungen für alte halten? Wer sieht hier nicht in der besonderen Wahl des Motivs, in dessen Auffassung und Durchführung den modernen Geist?“ Als Ernst Zimmermann, Leiter der Porzellansammlung im Dresdner Zwinger, 1907 diese begeisterten Worte über Werke Josef Wackerle niederschrieb, bezog er sich zwar auf frühe Wandplaketten und Porzellanfiguren des aus Partenkirchen stammenden Bildhauers (1880 – 1959). Dennoch lässt sich Zimmermanns Charakterisierung auch gut auf die ebenfalls für die Porzellanmanufaktur Nymphenburg entstandenen großen Terrakotta-Figuren beziehen. Wackerle entwarf sie ab 1907; bis heute sind sie – nicht nur wegen ihrer dauerhaften Aufstellung im Botanischen Garten München – bestens bekannt.
Zwischen Antike und moderner Bildsprache
Ein im Vergleich mit den für die Brüsseler Weltausstellung 1909 angefertigten Papageien weniger bekannter Entwurf ist der um 1912 erstmals aufgelegte „Knabe mit Krug und Traube“ (Schätzpreis 3.500 Euro). Auf ihn trifft Zimmermanns Charakterisierung besonders gut zu: Für mehrere bauplastische Aufträge hatte sich Josef Wackerle zwar ab 1909 mit Puttendarstellungen in relativ enger Anlehnung an Vorbilder der Antike und Renaissance beschäftigt. Die Accessoires, die der vorliegende Knabe mit sich führt, weisen auch noch deutlich in diese Welt zurück – eine Traube und eine Amphore, wie es einem Putto aus dem Gefolge des Bacchus zukommt. Der Knabe selbst aber hat den Schulterschluss mit der Tradition verlassen. Er entspricht in seiner frischen Natürlichkeit ganz dem Blick, den die Zeit nach 1900, auch anlässlich diverser pädagogischer Reformen, auf Kinder und Kindheit hatte. Der Überlieferung nach modellierte Josef Wackerle den Knaben denn auch nicht nach dem Vorbild eines klassischen Puttos, sondern nahm seinen eigenen Sohn als Modell.
August Gaul: Das Tier weist den Weg
Auch August Gaul (1869 – 1921), der heute als erster moderner Bildhauer Deutschlands gilt, suchte um 1900 nach einer neuen, formal reduzierten Stilistik. Gerade in Tieren fand er seine liebsten Modelle für diese Erkundungen fand: Anders als der menschliche Körper waren sie zu dieser Zeit künstlerisch noch nicht mit Inhalt und Bedeutung aufgeladen. Gleichzeitig vollzog sich zur Jahrhundertwende auch eine tiefgreifende Veränderung im Verhältnis von Mensch und Tier, vor allem in den Städten: Nutztiere verschwanden, wie die Kunsthistorikerin K. Lee Chichester herausarbeitet, aus den Metropolen, weil sich ihre Präsenz in Massenschlachthöfe verlagerte bzw. von dampfgetriebenen Bahnen und Automobilen ersetzt wurde.
Gleichzeitig hielten Haustiere in den städtischen Haushalten Einzug, unter anderem, damit Kinder im täglichen Umgang mit ihnen Tugenden wie Empathie und Wohltätigkeit lernten. Und Tier- und Naturschutzvereine begannen, die Aufmerksamkeit gerade der Städter auf schwindende Naturräume und bedrohte Arten zu lenken.
Exotik und Vorgarten
Gaul nimmt diese Strömungen auf, in dem er sich von vorneherein nicht nur mit exotischen Tieren beschäftigt, sondern auch mit Nutz- und heimischen Wildtieren. Dies hatte, neben persönlichen Interessen, auch mit den Vorlieben seiner Kunden zu tun: Sie besaßen nicht selten Landhäuser oder Villen am Stadtrand und suchten für deren Ausstattung gezielt nach Skulpturen von Tieren aus der Umgebung. „Unter der Hand Gauls“, so der zeitgenössische Kunstkritiker Karl Scheffler, „werden alle Tiere ein wenig zu Haustieren. Sie alle freunden sich mit dem Menschen an.“ Ein solcher Freund ist auch mit der vorliegenden, keramischen Version von Gauls Biber-Skulptur zu gewinnen (Schätzpreis 2.400 Euro).
Von der Bronze zum Böttger-Steinzeug
Sie stellt zugleich auch eine der wenigen glücklichen Fügungen im Umgang mit dem Nachlass des 1921 mit nur 51 Jahren verstorbenen Bildhauers dar. Zwar hatte der schon lange schwerkranke Künstler sein künstlerisches Erbe vorbildlich geregelt. Durch eine handschriftliche Hinzusetzung kurz vor seinem Tod hatte er alle diese Regelungen jedoch unabsichtlich ungültig gemacht.
Witwe und Nachkommen ließen seine Bronzen dann relativ willkürlich nachgießen; auch Meissen brachte eine ganze Reihe von Gaul-Objekten heraus. Gaul war mit der Porzellanmanufaktur zwar noch zu Lebzeiten im Gespräch gewesen; zu vertraglichen Vereinbarungen aber war es nicht mehr gekommen.
Diese arrangierte später Gauls Mitarbeiter Max Esser, dem es noch gelungen war, August Gaul für die Nachbildung einiger seiner Werke in Böttgersteinzeug zu interessieren. Ab Februar 1922 wurden einige, dann bereits von Max Esser ausgewählte Skulpturen realisiert; nicht immer war die Gesamtwirkung gelungen. Beim vorliegenden „Großen Biber“, dessen Bronze-Vorlage wohl als Brunnenfigur konzipiert worden war, entfaltet das matte, satt-braune Material jedoch eine eindrucksvolle Wirkung und unterstreicht sowohl die formale Reduktion wie auch die in den wenigen Details prägnant formulierte Charakterisierung des Tieres.
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