Im Blickpunkt am 30. Juni (III): Ein Fragment, wohl von Lucas van Leyden
Eine wehrhafte Stadt mit Türmen und Zinnen. Kostbar gekleidete Männer und Frauen, scheinbar jeden Standes und Herkunft, die sich zu Füßen der Stadtmauer eingefunden haben. Die Menge wimmelt bunt durcheinander, die hinten Stehenden recken die Hälse; zwei Frauen haben sich über ein Notenblatt gebeugt, um ein festliches Lied anzustimmen. Denn das wohl aus der Hand des Renaissancemeisters Lucas van Leyden (1494 – 1533) stammende Fragment ist Teil einer vormals größeren Komposition zum „Triumph des David“, die mehrfach kopiert und in Kupfer gestochen wurde, aber auch als Hinterglasbild überliefert ist.
Das Lucas van Leyden-Fragment: ein Bild, zwei Ereignisse
Sämtliche Personen sind auf diesen Quellen ganzfigurig dargestellt; links neben der im Fragment erhaltenen Figurengruppe steht David als Jüngling, das Haupt des riesigen Philisters Goliath auf einem stattlichen Schwert hochhaltend wie eine Fahne. Wie die polnische Kunsthistorikerin Bożena Steinborn in einem Aufsatz aufschlüsselt, verdichtet van Leyden hier zwei verschiedene Momente der Davidslegende zu einem Motiv: Die auch auf dem vorliegenden Fragment abgebildete Figuren repräsentieren großenteils die freudigen „Töchter Jerusalems“, die den siegreichen Helden begrüßen.
Dieses Ereignis allerdings fand, so Steinborn, erst mehrere Jahre nach dem Sieg über Goliath statt. David stand längst als Feldherr in Diensten des Königs Saul und hatte als solcher einen weiteren Sieg über die Philister errungen. Gerade dieses Motiv aus der Davids-Legende war auch jenseits des Werks Lucas van Leydens in der niederländischen Kunst des 16. Jahrhunderts überaus populär. Steinborn erklärt sich dies mit dem Ringen des kleinen, doch wirtschaftlich bedeutenden Landes um Unabhängigkeit und religiöse Reformen, was van Leyden in der zwar bunt gemischten, aber auf einer gleichberechtigten Ebene agierenden Figurengruppe wie auch in der typologisch als Heils- und Freiheitsbringer deutbaren Figur des siegreichen David zum Ausdruck bringt.
Welche Version ist das Original?
Steinborn setzt sich in einem Aufsatz auch dezidiert mit der Frage auseinander, welche der vorliegenden Bildquellen und Kopien wohl das Original von Lucas van Leyden verkörpert respektive unmittelbar auf dieses zurückzuführen ist. Denn in der Ausgestaltung von Gewändern und Hintergrund, aber auch in der Zusammensetzung der Personengruppe lassen sich bei den verschiedenen Quellen erhebliche Unterschiede beobachten.
Ein dunkelhäutiges Mädchen liefert Indizien
Aus technologischen Gründen, wegen des in keiner anderen Version so detailliert wiedergegebenen Stadthintergrunds, aber auch wegen des dunkelhäutigen Mädchens im Vordergrund vermutet die Kunsthistorikerin, dass das vorliegende Fragment wohl Teil des Originalbilds gewesen sein muss, da Kopisten und Stecher eher dazu tendierten, auffällige Unterschiede in dargestellten Figurengruppen zu nivellieren als diese im Nachhinein zu betonen.
Dass das dunkelhäutige Mädchen vorne rechts – auf einer Kopie des Gemäldes aus der Werkstatt Lucas Cranachs d. J., aber auch auf diversen Stichen und dem Hinterglasbild als hellhäutige Frau wiedergegeben – , erst eine spätere Einfügung ist, hält Bożena Steinborn für unwahrscheinlich.
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